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Channel: Film – cult:online – Kritik
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Der Feind im Gästebad

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Argentinien, 1983: Das Ende der Militärdiktatur macht die Familie Puccio aus Buenos Aires arbeitslos. Doch das Familienoberhaupt Arquímedes Puccio lässt sich von der Rückkehr zur Demokratie nicht seine Geschäfte ruinieren: Anstelle im Auftrag der rechten Junta Regierungskritiker zu entführen, kidnappt er mit seinem Clan auf eigene Faust wohlhabende Hauptstädter. Als Lockvogel dient sein ältester Sohn Alejandro, der Star der argentinischen Rugby-Nationalmannschaft. Gefangengehalten werden die Opfer – die trotz Lösegeldzahlungen allesamt „zur Sicherheit“ ermordet werden – im Gästebad im ersten Stock ihres Wohnhauses: Während die Familie im Erdgeschoss zu Abend isst oder die Kinder nebenan für die Schule lernen.

Mit „El Clan“, der im vergangenen Jahr in Venedig mit dem Silbernen Löwen für die beste Regie ausgezeichnet wurde, hat der Regisseur Pablo Trapero ein auf wahren Begebenheiten beruhendes, vielschichtiges und zutiefst abgründiges Familiendrama geschaffen. Im Mittelpunkt steht die Vater-Sohn Beziehung zwischen  Arquímedes und Alejandro. Der Vater (gespielt vom argentinischen Comedian Guillermo Francella) führt seine Familie mit harter Hand: Er macht ihnen – und ganz besonders seinem ältesten Sohn – unmissverständlich klar, dass ihr Wohlstand einzig und allein auf seinen Entführungen beruht und dass sie nach einer Enttarnung ebenso zur Rechenschaft gezogen würden. Der dämonische Patriarch mit den stechenden Augen erinnert an einen KZ-Kommandanten, der jeden Abend zu seiner Familie in seinem direkt an das Lager angrenzenden Haus kommt, von dort aus allerdings das Leid seiner täglichen Arbeit stets im Blick hat. Alejandro ist hin- und hergerissen zwischen Verehrung und Verachtung für seinen Vater. Trotz erheblicher moralischer Zweifel lässt er sich von ihm für seine Dienste einspannen.

In der Schlüsselszene werden Vater und Sohn auf eindringliche Weise, aber höchst unterschiedlich zusammengeführt: Während Trapero Alejandro ausgiebig beim Liebesspiel mit seiner Freundin im Auto zeigt, foltert und tötet sein Vater gerade ein Entführungsopfer. Beide Szenen sind per Parallelmontage übereinander geschnitten. Musikalisch untermalt wird diese Doppelsequenz mit der Sechziger-Schnulze „Sunny Afternoon“ der Kinks. Traperos augenzwinkernde Gewaltdarstellung erinnert an Quentin Tarantino – etwa an die Folterszene aus „Reservoir Dogs“. Neben jener Gewaltinszenierung nimmt der Film aus den bedrohlichen Gegensätzen seine große innere Spannung: Scheinbare bürgerliche Normalität und menschliche Abgründe verschmelzen zu einem verworrenen, zutiefst unheimlichen Geflecht.

Christoph Löbel

Die Kritik Der Feind im Gästebad erschien zuerst auf cult: Kulturzeitung der bayerischen Theaterakademie cult:online - Kritik.


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