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Schwarze Haare, schwarze Herzen

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Amerikaner können gut Finanzkrisen auslösen und noch besser brillante Filme wie „The Big Short“ darüber drehen

 

Kein Häuflein, sondern ein ganzer Haufen Elend hockt auf einer Dachterrasse über New York: Der Investmentbanker Mark Baum, ein zusammengesunkener Riese, den glasigen Blick in die Kaffeetasse gerichtet. Man kann nur hoffen, dass er es nicht seinem Bruder gleichtun und aus Verzweiflung nach unten springen wird. Knappe zwei Filmstunden lang, von denen keine einzige Minute langweilig geraten ist, focht er in Adam McKays „The Big Short“ einen Kampf gegen die Ungerechtigkeit des Wirtschaftssystems, hat aufmüpfig nachgefragt, nachgebohrt, nachgehakt, Menschen belehrt und beschimpft. Letztlich behielt er Recht – und dennoch fühlt es sich an wie eine Niederlage. Das Großmaul ist plötzlich ganz klein. Kassandra kann eben nicht triumphieren; zu tragisch sind die Konsequenzen des Prophezeiten.

Mark Baum, gespielt von Steve Carell, der sich in letzter Zeit auf wunderbare Weise zunehmend in ernsthafteren Rollen verdient macht, ist nur einer von mehreren Männern, der die Finanzkrise 2007 voraussah und versuchte, daraus Profit zu schlagen.

Der Vorreiter dieser Riege heißt Dr. Michael Burry und ist wie die anderen ein Außenseiter im geschleckten Hochfinanzbusiness. Christian Bale spielt diese konsequent geradlinige und doch unterschwellig nervös mit ihrem Glasauge zuckende, etwas groteske Figur so gut wie selten zuvor etwas in seiner an guten Rollen nicht armen Karriere. Der barfüßige T-Shirt-Träger, der in Stresssituationen gerne hart auf Schlagzeugfelle prügelt, ist weniger Zahlengenie denn ein Mann mit dem Hang zu größtmöglicher Aufrichtigkeit. Im Jahr 2005 überprüft er exakt die Zahlen zum amerikanischen Hausmarkt und stellt als erster fest, dass sich eine riesige Blase in der als unerschütterlich geltenden Branche gebildet hat. Menschen, die es sich eigentlich nicht leisten können, erhalten gigantische Hypothekenkredite, die von den Großbanken (unter anderem auch von der Deutschen Bank) mithilfe der Ratingagenturen als grundsolide Pakete ausgewiesen und weiterverkauft werden, obwohl sie nichts wert sind.

Burry nutzt diese Erkenntnis, wettet gegen den Immobilienmarkt und wird folglich von den Banken als naiver Narr verlacht und von den eigenen Investoren, die ihr Kapital in Gefahr sehen, verlassen. Zwar bestätigen ihn bald die sinkenden Zahlen, jedoch hat er nicht mit dem langen Atem der Finanzwelt gerechnet, die das Dilemma am liebsten ignorieren und aussitzen möchten. Seine Praxis findet Nachahmer, etwa eben Mark Baum und sein Expertenteam, zudem den von Ryan Gosling gespielten wunderbar schwarzhaargefärbten Schmierbankie und zwei Jungunternehmer nebst ihrem Mentor, verkörpert von einem zauselbärtigen Brad Pitt. Getrieben werden sie dabei weniger von einem revolutionären Impetus – wissen sie doch genau, dass sie selbst Teil des Systems sind –, sondern vielmehr von einer Mischung aus Selbstbestätigung, Überlegenheitsgefühl und natürlich den finanziellen Anreizen.

Der Regisseur Adam MacKay schafft es, die komplexe Thematik des gleichnamigen Buchs von dem Wirtschaftsjournalisten Michael Lewis leichtfüßig zu erzählen, ohne jeweils in Albernheit oder Zynismus abzudriften. Was sich hinter Kürzeln wie CDO oder MBS verbirgt, wird in kurzweiligen spielerischen Exkursen anschaulich erklärt, oft von Prominenten mit Gastauftritten wie Selena Gomez. Das ist zugleich lehrreich, verdammt unterhaltsam und lässt den Film permanent zwischen Staunen und Erschrecken changieren.

Das größte Verdienst von „The Big Short“ ist es jedoch, die Propheten der Krise nicht als strahlende Helden zu zeigen, sondern klarzumachen, dass der Niedergang der Weltwirtschaft für niemanden einen glorreichen Sieg bedeutet. In einer Szene wollen die beiden Jungunternehmer überschwänglich feiern, aufs richtige Pferd gesetzt zu haben, ehe sie die altersweise Aussteigerfigur von Brad Pit daran erinnert, wer letztlich die Zeche für das Schlamassel zahlen muss. In diesem Punkt geht der Film weiter als Scorseses „The Wolf of Wall Street“, dessen Zurschaustellung seines fragwürdigen und doch faszinierenden Protagonisten die Sicht auf die Opfer eher verstellte. „The Big Short“ ist somit eher das Pendant zu Ramin Bahranis Meisterwerk „99 Homes“ von 2015: Wo der eine von den Träumen der einfachen Hausbesitzer handelt, die – von der Komplexität der Ratensysteme überfordert – letztlich alles verlieren, zeigt „The Big Short“ die Seite, die für deren Zerstörung verantwortlich ist. Gottseidank erhielten die beteiligten Banken damals alle ihre gerechte Strafe und ließen nicht die Armen und Immigranten dafür bezahlen … nur ein Scherz!

Tobias Sedlmaier

Die Kritik Schwarze Haare, schwarze Herzen erschien zuerst auf cult: Kulturzeitung der bayerischen Theaterakademie cult:online - Kritik.


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