Film-Kritik: Rafi Pitts erzählt in „Soy Nero“ im Wettbewerb der Berlinale die Geschichte eines Green-Card-Soldaten aus Mexiko
Ein Volleyballspiel am Strand von Tijuana. Das eine Team aus Mexiko, das andere aus den USA – und dazwischen als Netz der meterhohe Grenzzaun. Eine absurde Situation, die das Dilemma des 17-jährigen Nero (Johnny Ortiz) auf ungewöhnliche Weise illustriert. „Ich bin kein Mexikaner, wir wurden abgeschoben“, erklärt er bei jeder Gelegenheit. Alle Versuche, die Grenze zu überwinden und in die USA zurückzukehren, sind bisher gescheitert, doch während des Feuerwerks zu Silvester gelingt es ihm endlich. Nero träumt davon, amerikanischer Staatsbürger zu werden, und ist bereit, dafür zu kämpfen: Wer sich zum Militärdienst meldet, kann nach den Bestimmungen des „DREAM Act“ besonders schnell eine Green Card erhalten.

Rafi Pitts. Foto: Berlinale
Der im Iran geborene Regisseur Rafi Pitts schildert in „Soy Nero“ im Wettbewerb der Berlinale das Schicksal eines mexikanischen Einwanderers, der als Green-Card-Soldat sein Leben aufs Spiel setzt. Schon im Vietnamkrieg gab es Soldaten, die zur Armee gingen, um ihre Chancen auf die amerikanische Staatsbürgerschaft zu erhöhen; im Irakkrieg waren es Zehntausende – ohne eine Garantie, nach dem Ende des Militärdienstes tatsächlich von der Abschiebung verschont zu werden.
Rafi Pitts widmet „Soy Nero“ den ausgewiesenen Green-Card-Soldaten, doch der Versuch einer Auseinandersetzung mit diesem wichtigen und relativ unbekannten Thema bleibt viel zu sehr an der Oberfläche und besteht vor allem aus einer unnötigen Aneinanderreihung von Klischees. Die Amerikaner, denen Nero auf seiner Reise begegnet, sind entweder neureiche Unsympathen, Rassisten oder schlicht verrückt.

So sieht’s also im Einsatz aus. Foto: Berlinale
Der Mann, der ihn als Anhalter mitnimmt, erzählt irre Verschwörungstheorien über Windräder, fuchtelt mit einer Waffe herum und philosophiert dabei über die Wichtigkeit von „gesunden Grenzen“. Neros älterer Bruder mit dem schönen Namen Jesus residiert in einem herrschaftlichen Anwesen in Beverly Hills, das so geschmacklos und protzig mit Unmengen von Gold, Kronleuchtern und ausgestopften Tieren eingerichtet ist, dass Nero regelrecht geblendet wird – und sich im Bademantel des Hausbesitzers „wie Hugh Hefner“ fühlt. Skurrile Szenen mit einem gewissen Unterhaltungswert, in denen man allerdings nichts über die Persönlichkeit des Protagonisten erfahren kann. Nero wirkt sympathisch und naiv – auf eine differenziertere Figurenzeichnung verzichtet Rafi Pitts und beschränkt sich auf reine Beobachtungen. Nero vermutet, dass sein Bruder mit Drogen handelt, um den Luxus zu finanzieren, doch die Wirklichkeit ist genauso ernüchternd: Auch Jesus hat keine gültigen Papiere und ist nur ein einfacher Hausangestellter.

Plötzlich in der Wüste. Foto: Berlinale
Zum Abschied überlässt er seinem Bruder den gefälschten Ausweis – und plötzlich ist Nero irgendwo in der Wüste, ein Soldat in Tarnuniform, der einem Checkpoint im No Man‘s Land Ausweise kontrolliert. Eine Ironie des Geschehens, die beiläufig übergangen wird. Wohin es Nero verschlagen hat, bleibt offen; arabische Schriftzeichen auf den Straßenschildern und orientalische Musik im Hintergrund sind die einzigen Hinweise. Zunächst passiert nicht viel: belanglose Diskussionen über Rap, rassistische Beleidigungen der Soldaten untereinander, Warten und endlose Langeweile – die sich dann auch auf den Zuschauer überträgt. Rafi Pitts’ Versuch, zwei Filme in einem zu zeigen, geht nicht auf. Die Schilderung des Auslandseinsatzes ist so eigenartig distanziert, dass man schnell das Interesse an diesem zweiten Teil verliert. Daran können auch die dramatischen Ereignisse am Schluss nichts mehr ändern: Ein Auto explodiert, die Soldaten geraten in einen Hinterhalt, Nero rennt um sein Leben – und der Film wirkt am Ende genauso verloren wie sein Hauptdarsteller.
Christina Prasuhn
Die Kritik Dream Kid erschien zuerst auf cult: Kulturzeitung der bayerischen Theaterakademie cult:online - Kritik.