Abseits des Wettbewerbs sind auch die kleinen, vom Feuilleton kaum bedachten Filme einen Blick wert. Manchmal überraschen, manchmal enttäuschen sie, manchmal sind es Werke verblasster Altmeister, manchmal Debütfilme. Selten erhalten sie eine Kinoauswertung. Fünf Eindrücke aus den Reihen Forum und Panorama:
„Le Fils de Joseph“ von Eugène Green (Forum)

Heute mal ohne Eigenspermaverkauf! Foto: Berlinale
Vincent kann sich mit den Freizeitaktivitäten seiner Mitschüler, etwa Rattenquälen und Eigenspermaverkauf, so gar nicht anfreunden. Lieber spürt er seinem Vater, einem egozentrischen Literaturverleger (Mathieu Amalric) hinterher, dessen Existenz die introvertierte Mutter (Natacha Régnier) aus guten Gründen verschweigt. „Le Fils de Joseph“ von Eugène Green will viel vereinen: leichtfüßige französische Komödie, Literatursatire, Liebesfilm mit Bibel- und Barockelementen. Vor allem ist er jedoch gerade in seinem Gesprächsduktus eine schöne Verneigung vor der Nouvelle Vague, die trotz mancher Längen und Unstimmigkeiten berührt.
„Die Geträumten“ von Ruth Beckermann (Forum)

Anja Plaschg, Laurence Rupp. Foto: Ruth Beckermann Filmproduktion
Die Briefe, die sich das zeitweilige Liebespaar Ingeborg Bachmann und Paul Celan fast zwanzig Jahre lang schrieben, sind in ihrer verdichteten Verzweiflung Weltliteratur geworden. Regisseurin Ruth Beckermann nähert sich dem, bei Suhrkamp als „Herzzeit“ herausgegeben Briefwechsel, nun an, indem sie zwei Schauspieler die Texte in einem Rundfunkstudio vorlesen und dabei der Liebesgeschichte der historischen Personen näher kommen lässt. Ein erfrischendes Konzept ist das, die private Ungelenkheit der Annäherung mit dem literarischen Text korrespondieren zu lassen und in die Gegenwart zu verlagern. Allerdings wurde die Idee visuell nicht weit genug vorangetrieben; „Die Geträumten“ ist weniger Kino als Hörspiel.
„Fantastic“ von Offer Egozy (Forum)

Persephone Apostolou. Foto: Berlinale
Ganz und gar nicht funktioniert die Idee, die Regisseur Offer Egozy in „Fantastic“ verfolgt: der permanente Verweis auf die eigene Künstlichkeit. Wer ist Duncan Ross? – diese Frage stellt sich nur die blasse Figurenriege, der kaum mehr als teilweise seltsame Kleidung und Namen zugewiesen wird; den verwirrten Zuschauer könnte hingegen nichts weniger interessieren. Zu sehr dreht sich das krude Puzzle um sich selbst, ohne dabei einen Ansatz von Spannung oder erzählerischem Geschick zu beweisen. Mit der Ästhetik eines Amateurfilms könnte der auf 35mm gedrehte amerikanische Krimi durchaus das Potential eines kultigen Trashfilms haben (wie unfreiwillig etwa „The Room“ dazu stilisiert wurde), jedoch lotet er keinerlei Grenzen aus.
„While the Women Are Sleeping“ von Wayne Wang (Panorama)

Seit 10 Jahren filmt er sie beim Schlafen. Foto: Berlinale
Wayne Wang ist zurück in der deutschen Hauptstadt: Der amerikanische Regisseur mit chinesischen Wurzeln war das letzte Mal 1995 mit seinem herrlich verrauchten Independentfilm „Smoke“ auf der Berlinale vertreten, mit dem er einen Silbernen Bären gewinnen konnte. Mit „While the Women Are Sleeping“, der Adaption einer Kurzgeschichte von Javier Marías, die ebenso aus dem Universum von Haruki Murakami stammen könnte, lässt Wang das Ungewöhnliche in den Alltag eindringen. Ein Schriftsteller wird im Urlaub auf ein seltsames Paar aufmerksam; eine junge Schönheit und einen älteren Mann, der sie seit zehn Jahren jeden Tag mit der Videokamera beim Schlafen porträtiert (gespielt vom japanischen Regisseur Takeshi Kitano unter seinem Schauspielnamen Beat Takeshi). Als „schwarze Komödie“ solle man seinen Film sehen, sagte der Regisseur; er ist eher eine flirrende Geistergeschichte. Die anfänglich stille Lakonie der Bilder weicht mehr und mehr einer irritierenden und stellenweise langatmigen Fantasiewelt.
„Tales of Two who Dreamt“ von Nicolás Pereda, Andrea Bussmann (Forum)

Schäbige Verwandlung. Foto: Berlinale
Ein Junge wacht eines Morgens auf und sieht sich in eine grässliche Vogelkreatur verwandelt. Die geschockten Eltern verstoßen ihn und vermieten sein Zimmer. Klingt bekannt? Die kanadisch-mexikanische Co-Produktion „Tales of Two Who Dreamt“ benutzt abgewandelte Motive aus Kafkas „Die Verwandlung“, um den Alltag von Asylbewerbern in einem schäbigen Hochhaus in Toronto zu beleuchten. Eine wichtige Erkenntnis: Letztlich bestehen das Leben und das Filmemachen oft nur aus Warten und Umräumen. Der mit dokumentarischen Elementen gestaltete Schwarz-Weiß-Film wird dabei mehrfach ironisch gebrochen, und reflektiert sowohl seine eigenen Bestehungsbedingungen wie in einem Making-of, als auch die Praxis filmischen Erzählens.
Tobias Sedlmaier
Die Kritik Miniaturen erschien zuerst auf cult: Kulturzeitung der bayerischen Theaterakademie cult:online - Kritik.