Film-Kritik: Der dänische Film „Shelley“ im Panorama der Berlinale vereint Figurendrama und Horror-Genre
Eine Hütte am See. Irgendwo in Dänemark. Der Wind lässt das Schilf am Ufer tanzen. Der Steg ist menschenleer. Rund herum Wald; Stille. Dann setzt bedrohliche Musik ein und alles wird rot: See, Schilf und Wald. „Shelley“ wird in geschwungener Schrift groß eingeblendet, während der nervenaufreibende Ton im Hintergrund eine irre Lautstärke erreicht.
Ein Filmanfang, der an die frühen britischen Hammer-Horror-Filme der 1960er-Jahre erinnert. „Dracula“ von 1958 mit Christopher Lee in der Titelrolle beginnt sehr ähnlich: Erst wird das Schloss gezeigt, das Setting des Films, dann wird die Musik bedrohlicher und lauter, und der Titel in großen, roten Lettern eingeblendet. Ist dieser Klassiker der Trash-Horror-Kultur also eine Inspiration für „Shelley“?
Kein Hammer-Horror
Nein. Wer einen Film in der Art von Hammer-Horror erwartet, wird enttäuscht. „Shelley“ ist zunächst ein psychologisches Drama um drei Figuren: Louise und Kasper sind ein dänisches Paar, die zurückgezogen in einer Hütte am See leben. Ohne fließend Wasser, ohne Elektrizität. Alles, was sie zum Leben brauchen, pflanzen sie selbst an. Als Louise sich von einer Operation erholt, stellen sie eine rumänische Haushaltshilfe ein: Elena möchte Geld verdienen, um für sich und ihren fünfjährigen Sohn eine Wohnung in Bukarest zu kaufen. Als sie sich mit Louise anfreundet, erfährt sie, dass Louise keine Kinder bekommen kann. Die beiden Frauen helfen sich gegenseitig: Elena wird Leihmutter für Louises und Kaspers Kind und die beiden zahlen für die Wohnung in Bukarest.

Erstmal ein Gläschen Tee gegen die Aufregung. Foto: Nadim Carlsen
Regisseur Ali Abbasi setzt auf starke Schauspielerinnen für die zwei Frauenrollen: Ellen Dorrit Petersen als Louise und Cosmina Stratan als Elena könnten nicht unterschiedlicher sein, doch die Chemie auf der Leinwand stimmt. Die eine strahlt eine gewisse Kühle aus, während die andere herzlich und hilfsbereit wirkt.
Das Kind muss raus
Beiden gemein ist, dass sie denken, sie hätten den perfekten Plan. Doch als Elena schwanger ist, ändert sich alles. Sie wird immer müder, ihre Haare fallen aus, sie schlafwandelt in der Nacht und ihre Haut juckt so unerträglich, dass sie sich immer wieder aufkratzt. Die Schmerzen überzeugen Elena irgendwann davon, dass das fremde Kind ihr das alles antut. Sie wird paranoid, während Louise mehr ihr Kind beschützt als sich um Elena zu sorgen. Das Kind sei böse und müsse aus ihr heraus, das steht für Elena fest.
Während Elenas Schwangerschaft entwickelt sich still und leise der Horror in „Shelley“: Großaufnahmen ihres schmerzverzerrten Gesichts und Aufnahmen ihrer wirren Träume, die sich unangekündigt unter die Szenen mischen, erzeugen eine angespannte Grundstimmung, die sich bis zur Geburt des Kindes immer weiter steigert. Dazu weist der Soundtrack konstant – und etwas zu deutlich – auf das Schreckenselement hin: also doch ein wenig Hammer-Horror, der hier schlicht nicht passt. Auch ganz ohne Musik vermitteln die Schauspieler die düstere Stimmung.
Ein bisschen anormal?
Nach der Geburt besteht kein Zweifel daran, dass das Kind wirklich böse ist. Jeder merkt es – außer Louise. Das Baby wird „Shelley“ genannt, was die Interpretation zulässt, dass die Drehbuchautoren Ali Abbasi und Maren Louise Käehne an Mary Shelley gedacht haben: Victor Frankenstein erschafft in ihrem bekanntesten Roman eine Kreatur aus Leichenteilen und spielt Gott. Ob die Drehbuchautoren dies auf das Konzept der Leihmutterschaft an sich übertragen wollten, also eine „anormale Art“ Leben zu schaffen, drängt sich da schnell auf. Ob der Film diese Aussage treffen will oder doch einfach nur Horror sein wollte, muss jeder Zuschauer für sich selbst entscheiden.
Barbara Oswald
Die Kritik Das Böse am See erschien zuerst auf cult: Kulturzeitung der bayerischen Theaterakademie cult:online - Kritik.